Seit 130 Jahren wird der 1. Mai weltweit begangen. Er steht für sozialen Fortschritt, Gerechtigkeit und Menschenrechte. Zum ersten Mal in der Geschichte wird es dieses Jahr in der Schweiz keine Demos und Kundgebungen am Tag der Arbeit geben. Zum Schutz der Gesundheit heisst es Abstand halten. Doch trotzdem stehen wir zusammen, mehr denn je. Unter dem Motto Solidarität. Jetzt erst recht! feiern wir den Tag der Arbeit – digital. Mit Debatten und einer Live-Sendung in den sozialen Medien.
Es gäbe genug Gründe, unseren Protest auch an diesem 1. Mai auf die Strasse zu tragen. In der Corona-Krise offenbaren sich prekäre Arbeitssituationen glasklar. Einmal mehr sind die Angestellten in den Tieflohnbranchen am härtesten von dieser Krise betroffen. Über 1.5 Millionen Menschen stehen in Kurzarbeit und erhalten nur 80% ihres üblichen Lohnes, zu einem grossen Teil in Branchen mit tiefen und mittleren Einkommen. Viele Arbeitnehmende haben deshalb Mühe, sich und ihre Familien durchzubringen. Die Betroffenen brauchen 100% Lohn. Die Firmen erhalten aktuell 60 Milliarden staatliche Unterstützung, um unsere Löhne zu bezahlen. Doch immer mehr verantwortungslose Unternehmer entlassen ihre Angestellten! Es braucht Solidarität für alle, nicht Dividenden für die Firmenbesitzer: keine Corona-Entlassungen!
Es sind die ArbeitnehmerInnen, die das Land am Leben erhalten, das wird jetzt klar, wo viele ihre Arbeit niederlegen mussten. Doch auch die Bedeutung der Leistung derjenigen, die im Hintergrund weiterarbeiten, oder immer noch an der Front sind, zeigt sich in der Krise. Nicht nur der Service public hat mehr denn je seine zentrale Grundlage für unsere Gesellschaft bewiesen. Ebenso die Logistik oder der Verkauf. Branchen, in denen die Angestellte weder einen fairen Lohn noch den gebührenden Respekt für ihre Arbeit erhalten – damit muss nun Schluss sein: Wir sind alle systemrelevant – bessere Löhne und starke Arbeitnehmerrechte für alle!
Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit drängt sich an diesem ausserordentlichen Tag der Arbeit auf, wie selten in den letzten Jahrzehnten. Abgesehen von einem klareren und weniger verschmutzten Himmel, sät dieser Virus weder Tugend noch Nutzen. Die Pandemie wird den Kapitalismus nicht von sich aus in einem fortschrittlichen Sinne verändern. Gegenwärtig treffen die Folgen dieser Pandemie eher die Schwachen und nehmen uns die Möglichkeiten, einander zu begegnen. Wie immer in unserer Geschichte, liegen die Möglichkeiten für einen Wandel in Richtung Fortschritt nicht in Katastrophen, Pandemien oder Kriegen, sondern bei den kämpferischen, progressiven Kräften und unserer Fähigkeit zu klaren Analysen, Vorschlägen und Aktionen.
An diesem ersten Mai müssen wir daher mehr denn je sagen, was unser Land und unsere Gesellschaft brauchen, um menschlich zu bleiben. Trotz allem organisieren wir uns, schliessen unsere Reihen mit der Unterstützung von Freundinnen und Kollegen und nutzen alle verfügbaren Kräfte zur Stärkung unserer Bewegung. Organisiert, mobilisiert, gestärkt – die soziale Bewegung ist der beste Impfstoff, um unsere Gesellschaft vor den Gefahren zu schützen, die von ihr selbst ausgehen und in den aktuellen Umwälzungen erst recht für mehr sozialen Fortschritt zu kämpfen.